Thomas Strässle erzählte am 18. März 2025 über die wahren Begebenheiten zur Flucht seiner Mutter aus der DDR

Flüchten müssen, um lieben und frei leben zu können: Darum geht es in der «Fluchtnovelle», über die der Literaturwissenschaftler Thomas Strässle, auch bekannt aus dem SRF-Literaturclub im Restaurant Industrie vor vollem Saal sprach. Seine Mutter stammt aus der DDR, sein Vater ist Schweizer, und nachdem sich die beiden in den 60-iger Jahren in Erfurt getroffen hatten und sich verliebten, gab es nur noch die eine Frage: Wie entkommt die Mutter, die namenlos bleibt, dem System DDR, wie kommt sie heraus aus einem Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger zwangsinterniert hat?
Im Gespräch mit Moderatorin Heidi Fedeli erzählte Strässle, wie das Buch entstanden ist und welche Überlegungen er sich beim Schreiben gemacht hat. Die Idee dazu war schon lange vor dem Erscheinungsdatum geboren. Der Text ist schliesslich eine Mischung aus nüchterner Erzählung, Dialogen zwischen den Eltern und Gesetzestexten und Verordnungen geworden, was ihn zu einer eigentümlichen Mischung macht, die die grossen Gefühle eher unter Verschluss hält. Was vielleicht damit zu tun habe, so Strässle im Gespräch, dass man sich die Liebe der eigenen Eltern nicht allzu bildlich vorstellen wolle. Eigentlich sei es auch eine Geschichte um Schuld, denn Strässles Mutter war das einzige Kind, und sie verliess die DDR und damit auch ihre eigene Mutter, ohne sie vorher zu informieren, um sie nicht zu gefährden.
Thomas Strässle, der «aus einer Familie von Germanisten» stammt, ist nicht nur ein guter Autor, sondern auch ein guter Erzähler, der das Publikum im «Industrie» mühelos unterhielt. Beklemmend die Schilderungen vom «Kopf», dem Marx-Denkmal in Karl-Marx-Stadt, heute wieder Chemnitz, beklemmend die Schilderung der Grenzübergänge, die mit Todesstreifen, Selbstschussanlagen und Wachtürmen eine Welt ohne Mitleid kreierten. Beklemmend auch der Gedanke daran, wie viele Menschen auch heute auf der Flucht sind vor totalitären Systemen, vor Krieg und Waffengewalt. Das Publikum zeigte sich interessiert und beeindruckt. Aus aktuellem Anlass wurde vor der Veranstaltung in einer Schweigeminute Peter Bichsels gedacht, der in diesen Tagen verstorben ist.